11.000 Kilometer zur Uni nach Beijing

Eine echte Schnapsidee: Vom Ruhrgebiet terran bis zur Peking University – und Hochprozentiges begegnete uns auf dieser Reise quer durch Polen, Belarus, Russland und China tatsächlich noch des Öfteren. Elftausend Kilometer trennen meine Wittener Alma Mater von der Universität in Chinas Hauptstadt Beijing, wo ich im Sommer 2012 studierte.

Durch Polen nach Moskau

Es war ein surreales Gefühl, am Bahnhof gemeinsam mit einem Freund und unseren Rucksäcken die Türschwelle der S-Bahn zu überschreiten und dabei zu wissen, dass wir jetzt so lange Zug fahren, bis wir an der Chinesischen Mauer wieder aussteigen.

Im goldenen Abendlicht ziehen einen Tag später die Getreidefelder der polnischen Ebene hinter Warschau an der Grenze zu Belarus vorbei. Bald nähern wir uns Brest, wo der ganze Zugwaggon in einem nostalgisch anmutenden Umhebewerk auf neue Achsen der russischen Spurbreite gehoben wird, während fliegende Händler mit Pilz-Pfannkuchen und kühlem Dosenbier durch den Wagon streifen. Nach einer weiteren Nacht erreichen wir Moskau, unsere erste Zwischenstation. Moskau hat uns sehr beeindruckt mit den goldenen Kuppeln, den strahlend marmornen U-Bahn-Stationen bis hin zu den Jugendstil- Fresken im Supermarkt, wo wir uns mehr oder weniger passend mit Tütensuppen für die weiteren Tage im Zug eindecken.

Zwei empfehlenswerte mehrtägige Zwischenstopps in Moskau und in Irkutsk am Baikalsee haben wir eingeplant, als wir die Fahrkarten vorab über ein Freiburger Spezialreisebüro gebucht haben. Insgesamt waren es zehn Tage und neun Übernachtungen im Zug. Das längste durchgehende Segment war zwischen Moskau und Irkutsk, wo wir aus zeitlichen Gründen keinen weiteren Zwischenstopp einlegen konnten und gleich vier Nächte am Stück im Zug übernachteten. Verblüffend, wie schnell der Waggon zu einem zweiten Zuhause wurde.

Genau diese kleinen Momente werde ich mein Leben lang nicht vergessen.

Von Moskau nach Irkutsk an den Baikalsee

Man arrangierte sich mit den Passagieren im Abteil, mit russischen Großmüttern auf dem Weg von Archangelsk nach Vladivostok, die uns auf Pfirsiche und gebratenen Omul einluden, den man während der kurzen Halte auf den Bahnsteigen erwerben konnte. Stundenlange Partien Schach und die leckeren Pelmeni im Restoran, während die sommerliche sibirische Taiga mit konstant knapp hundert Sachen vor dem Fenster vorbeizog. Am Bahnsteig von Novosibirsk machen wir um Mitternacht Halt und verlagern mit Mitreisenden unsere Straßenmusik vom Abteil auf den Bahnsteig, singen zur Gitarre schallend das improvisierte Lied „Where is my Vodka glass?“ und bringen die sonst ganz ernste Provodnidsa-Schaffnerin zum Lächeln. Genau diese kleinen Momente werde ich mein Leben lang nicht vergessen.

In Irkutsk bestaunten wir die schönen sibirischen Holzhäuser. Mit der Marschrutka geht es durch die endlosen Wälder nach Listvyanka, und wir springen in diesen riesigen und eiskalten Baikalsee. Im Winter wird es hier zweistellig frostig, umso mehr spürt man, wie die Irkutskerinnen die warmen Sommertage draußen und die Zeit, in der man Röcke tragen kann, genießen. Mit der nostalgischen Straßenbahn fahren wir in der Morgensonne über die Brücke zum Bahnhof, wo schon der Zug Richtung Peking einfährt. Die Menschen sehen nun zunehmend asiatisch aus, es ist kein harter Übergang wie bei einer Flugreise sondern ein fließender, und mit uns fließt auch die Zeit: Bereits fünf Stunden sind wir der deutschen Zeit voraus und haben es nicht einmal gemerkt!

Durch die Mandschurei Richtung Beijing

Nach längerer Wartezeit an der russisch-chinesischen Grenze fahren wir durch ein riesiges Tor in die Volksrepublik und sofort ändert sich alles, Manzhouli kommt ins Bild. Wir halten alle zwei bis drei Stunden in Städten wie Harbin (9 Millionen Einwohnende), Hochhäuser bis zum Horizont und uns dennoch vor unserer Reise kaum bekannt. Unsere Abteilgenossen auf den übrigen zwei Liegen im Abteil sind nun eine chinesische Familie mit Vater, Mutter, Kind und dazugehöriger Großmutter. Wir lernen schnell, dass Platz in der kleinsten Hütte ist.

Auch auf den Bahnsteigen geht es nun enger zu. Eines Morgens wache ich auf und sehe mit dem ersten Augenöffnen, dass ein Fremder auf meinem Bett sitzt und friedlich Suppe schlürft, in Deutschland undenkbar, in China einfach eine andere soziale Realitätskonstruktion von Raum bei über einer Milliarde Menschen. Gerade solche Momente mit einem Lächeln machen die Zeit im Zug kurzweilig und unvergesslich. China ist gigantisch – und so ist auch die Schüssel Nudelsuppe, als wir in Beijing um sechs Uhr morgens aus dem Zug steigen, ganz überwältigt vor Freude über die längste Bahnfahrt unseres Lebens.

192 Stunden Bahnfahrt klingen so lang und gingen doch so schnell vorbei. Vielmehr noch, sie waren es absolut wert.

Ich kenne keine schönere Art zu verreisen als terran mit der Eisenbahn: Das Leben in vollen Zügen genießen!