Per Zug und Schiff nach Australien und zurück

Mit einer Hochzeitseinladung bei einer Tasse Tee fing es an. „Ohne Flugzeug nach Australien? Ihr seid doch verrückt!“ sagte man uns. Doch ehe wir uns versahen, saßen wir in der Transsibirischen Eisenbahn nach China und tuckerten unserem Frachtschiff entgegen. Erst mehr als ein Jahr später kamen wir zurück, um unschätzbar wertvolle Erfahrungen und Freundschaften bereichert, aber auch mit vielen Fragen zur Schwierigkeit des Reisens ohne Flugzeug im Gepäck.

Was tut eine Klimschützerin, wenn sie die beste Freundin als Trauzeugin nach Australien einlädt? Konsequenterweise absagen? Oder hinfliegen und das CO2 kompensieren? Genau vor dieser Frage standen wir Ende 2017 und entschieden uns für einen dritten Weg: ohne zu fliegen nach Down-Under kommen, zur Hochzeit von unseren Freunden Rosa und Franz. Leichter gesagt als getan. Diese Entscheidung fällten wir nicht von heute auf morgen, sondern im Laufe von Monaten der Recherche und Vorbereitung. Irgendwann stand fest: es ist möglich, und nein, wir sind nicht verrückt! Allerdings wurde schnell klar, dass wir ziemliches Glück hatten, denn eine solche Reise kann an tausend Dingen scheitern: Zeit, Geld, Visa, körperlichen Fähigkeiten, Diskriminierungen aller Art, fehlenden Verbindungen etc. Es wird einem alles andere als einfach gemacht. Nach guten sechs Monaten Planung war es soweit: wir bestiegen den Nachtzug Richtung Moskau. Ein Moment voller Aufregung und Abschiedstränen. Denn es war bereits klar, dass wir erst in mehr als einem Jahr zurückkommen und unterdessen ein neues Leben in Australien aufbauen sollten. Es folgten, jeweils unterbrochen von kurzen vier bis fünftägigen Aufenthalten, Zugfahrten nach Irkutsk am Baikalsee (ganze ~90 Stunden am Stück!), Ulaanbataar in der Mongolei sowie Beijing und Qingdao in China. Es bestätigte sich, was wir bereits geahnt hatten: langsames Reisen heißt intensives und gefühlsreiches Reisen. Wir lernten viele sehr liebe Menschen kennen, spürten die Distanzen, die Sonne von Tag zu Tag immer etwas früher aufgehen, die langsame, dann abrupte Veränderung von Landschaften, Menschen und Häusern. Die zweiwöchige Frachtschiffreise ab Qingdao nach Brisbane war für uns eine sehr einprägsame und hochinteressante Erfahrung, obwohl es der teuerste Teil unserer Reise war. Wir halfen in der Küche mit sowie im Maschinenraum und freundeten uns schnell mit der Crew an. Es dauerte nicht lange, da sangen wir bereits aus voller Kehle beim Karaoke mit der philippinischen Besatzung Liebeslieder und schossen unter Anleitung des ersten Ingenieurs und ersten Offiziers mit einem Sextanten Sterne am hell erleuchteten Nachthimmel. Aber wir wurden auch Zeugen der enormen Umweltauswirkungen, die die globale Frachtschiffindustrie verursacht, sowie der sehr schwierigen psychischen und physischen Arbeitsbedingungen, die die Besatzung tagtäglich vorfindet. Wir wurden nie seekrank und hatten immer etwas zu tun, so dass die zwei Wochen wie im Fluge vergangen. Plötzlich standen wir in Brisbane vor einem Hotelzimmer, wo wir bereits von Rosa, Franz und ihrem Sohn Max herzlich begrüßt wurden. Waren wir nicht gerade eben noch alle zusammen in Zürich und haben Tee getrunken? Es war ein sehr freudiges Wiedersehen. Nach der letzten Zugfahrt nach Sydney, wo die Hochzeit stattfinden sollte, begannen sogleich die Vorbereitungen. Im September war es dann soweit: Rosa und Franz sagten „Ja, wir wollen!“, begleitet von ergreifenden Reden und Liebesgeschichten, unter den staunenden Blicken von ihren Liebsten. Es wurde viel gelacht, getanzt und vorzüglich gespeist. Für uns war klar, dass sich all der Aufwand unserer Reise mehr als gelohnt hatte.

Das Jahr in Australien ging ebenso schnell vorüber wie die Reise dorthin: Wir arbeiteten in der Kinderbetreuung oder schrieben die Bachelorarbeit. Die Rückfahrt verlief auf ähnlichem Wege: mit dem Frachtschiff nach Japan, mit der Fähre nach Wladiwostok in Russland, von dort wieder mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Moskau und dann mit Bus und Bahn nach Deutschland. Es war wieder so wunderschöne Erfahrung wie beim ersten Mal, die wir nie vergessen werden und die wieder einmal bewiesen hat, dass langsames Reisen so viel mehr bedeutet. Uns hat diese Reise aber auch vor Augen geführt, dass sich für eine klimafreundliche Mobilität viel mehr ändern muss als „nur“ individuelle Reiseentscheidungen: es benötigt einen tiefgreifenden Systemwandel weg von der jetzigen Hypermobilität, angefeuert durch beständige Konkurrenz, Profit- und Statusstreben, hin zu einer Lebens- und Wirtschaftsweise, die auf Kooperation, menschlicher Bedürfnisbefriedigung, Zeitwohlstand und Selbstbestimmung beruht. Den nötigen Kulturwandel durch eigene Reiseentscheidungen vorzuleben ist jedoch ein Schritt in diese Richtung und wir hoffen mit unserer Reise einen kleinen Teil dazu beizutragen. Wir hatten dabei großes Glück. Und noch mehr, unsere Gedanken vertieft auch in Buchform festhalten zu können: „Ohne Flugzeug um die Welt – Klimabewusst unterwegs und glücklich“ ist im Februar 2020 bei Bastei Lübbe erschienen.

Giulia Fontana und Lorenz Keysser (Copyright: Daniel Winkler)

Danke Giulia und Lorenz, für eure terrane Geschichte und Danke dafür, dass ihr sie mit uns teilt.